Geschichte der Kolonie

tahl am Karaman war eine von den deutschen Auswanderern in Russland gegründete Kolonie, die am 9. Juli 1766 auf der Wiesenseite der Wolga gegründet wurde. Erster Name der Kolonie war «Träger», genannt nach dem ersten Vorsteher der Kolonie Friedrich Träger. Nach dem späteren Vorsteher wurde die Kolonie in «Stahl» umbenannt. Da es an der Wolga noch eine Kolonie mit einem gleichen Namen gab, wurde die Ortschaft «Stahl am Karaman» genannt. Am 26. Februar 1768 hatte die russische Verwaltung ein Gesetz herausgegeben, das allen deutschen Kolonien einen russischen Namen vorgab. So hieß Stahl am Karaman bis zur Gründung der Republik der Wolgadeutschen offiziell Swonarew Kut. Die Kolonie lag auf der rechten Seite des Flusses Großer Karaman in etwa 10 km. Luftlinie zur Wolga und war eine sogenannte Kronen- oder Mutterkolonie. Die ersten Kolonisten kamen überwiegend aus Südwestdeutschland – etwa 40 % der Erstsiedler kamen aus Franken (siehe die Liste der ersten Siedler). Im Laufe der ersten Jahre sind einige Siedler in die anderen Wolgakolonien gezogen, andere zogen wiederum aus den Nachbarkolonien nach Stahl am Karaman. Da die Wiesenseite in der Nähe von Wolga einen Sumpfboden aufwies und auch reich an Vegetation war, hatten die Siedler die umliegenden Wiesen als Viehweide genutzt. Der an die Wiesen anschließende Steppenboden wurde für den Getreideanbau genutzt. In späteren Jahren kam noch der Anbau von Kartoffeln und Sonnenblumen, auch ermöglichte der Steppenboden eine reiche Wassermelonenernte. Die ersten Häuser waren aus Holz, die Gärten am Haus waren mit einem Zaun versehen. Üblicherweise hatten die meisten Höfe Getreidespeicher, einen Stall, Vorgärten mit Gemüse. Viele Kolonisten hatten auch Obstgärten. Amtlich gehörte Stahl am Karaman zum Gouvernement Samara, Ujesd Nowousensk, Kreis Krasnojar. In den ersten Jahren gehörte Stahl am Karaman zur ev.-lutherischen Kirchengemeinde von Rosenheim. 1808 wurde in Stahl am Karaman eine Holzkirche erbaut. Stahl am Karaman hatte zwei Schulen – eine staatliche und eine kirchliche. Einer der Lehrer in Stahl am Karaman war Johann Georg Möhring aus dem bayrischen Altenstadt, er war vom Oktober 1775 bis Februar 1781 als Schulmeister in Stahl am Karaman tätig. In dieser Zeit verfasste er seine Memoiren über die Einwanderung nach Russland und die ersten Jahre seines Lebens an der Wolga. Es ist bekannt, dass es in Stahl am Karaman acht Windmühlen gab. 1798 gab es im Dorf einen Schmied, zwei Schuhmacher, einen Weber, einen Hutmacher und zwei Maurer. Mit der Gründung der ASSR der Wolgadeutschen und der Teilung der Republik in Kantone, bekam das Dorf wieder seinen alten Namen Stahl am Karaman zurück und gehörte bis 1941 zum Kanton Krasnojar. Außerdem war Stahl der Verwaltungssitz des Dorfsowjets Stahl, zu dem noch Außenposten Metschetka und Dreißigergraben, Obst-Gärten, Waldwache und das Dorf Schulz mit seinem Außenposten Metschetka gehörten. Heute heißt das Dorf Swonarewka und gehört zum Gebiet Saratow.

Die Lehrer Irma Justus *1913 †2010 und Heinrich Kufeld *1909 †1943
Die Lehrer Irma Justus *1913 †2010 und Heinrich Kufeld *1909 †1943
Johann Heinrich Pflaum *1884 †1957 und Helena Pflaum geb. Krutsch *1886 †1963
Johann Heinrich Pflaum *1884 †1957 und Helena Pflaum geb. Krutsch *1886 †1963
Beim Militär - rechts ist mein Urgroßvater Johann Heinrich Pflaum Sr. *1860 †1932
Beim Militär - rechts ist mein Urgroßvater Johann Heinrich Pflaum Sr. *1860 †1932

STAHL AM KARAMAN 1941

Das Geburtshaus von Alexander  Schneider
Das Geburtshaus von Alexander Schneider
Das Oberdorf
Das Oberdorf
Die Holzkirche
Die Holzkirche
Die Karamanstraße
Die Karamanstraße

 

Jahr  Haushalte  Männer  Frauen Gesamt
1767 49 78 76 154
 1769 44 76 76 152
1773  43 91 80 171
1788  44 95 108 203
1798  42 124 132 256
1816  53 183 177 360
184  80 356 357 703
1850  113 501 535 1036
1857  120 686 697 1341
1926  371 892 998 1890

 Entwicklung der Einwohnerzahlen in Stahl am Karaman

Am Dorfrand
Am Dorfrand
Ein altes Holzhaus
Ein altes Holzhaus
Die Straße nach Stahl
Die Straße nach Stahl
Die Steppe am Dorfrand
Die Steppe am Dorfrand


in typisches Kolonistenhaus wurde aus Holz oder Lehmziegeln gebaut. Holzhäuser baute man auf einem Steinfundament, das etwa die Höhe von 70 bis 100 cm hatte. Das Kolonistenhaus wurde als Einzel- bzw. Doppelhaus gebaut und war in der Regel etwa 4,5 Meter breit und 14 bis 20 Meter lang. Die Innenhöhe betrug ca. 2,3 Meter. Das Einzelhaus bestand aus zwei Räumen – einem Wohnraum und einer Diele, die gleichzeitig als Küche diente. Die Eingangstür führte direkt zur Küche. Die Decke wurde aus Holzbrettern gebaut, die auf einem dicken Mittelbalken und den Außenwänden lagen. Auf die Holzbretter wurde eine dicke Schicht Lehm aufgetragen. Die vielen Holzfenster wurden mit Fensterläden verziert. In die Öffnung der Raumzwischenwand wurde ein großer Ofen eingebaut, der auf einem Fundament aus den gebrannten Klinkern stand. In den Ofen wurden 2 Kessel aus Gusseisen eingebaut. Das Essen wurde auf dem Herd zubereitet. Der Ofen wurde mit Lehm bestrichen und weiß gekalkt. Der Fußboden und die Wände im Haus wurden ebenso mit Lehm bestrichen.

Das Haus der Familie Friedrich Schneider - Schneidergasse 25
Das Haus der Familie Friedrich Schneider - Schneidergasse 25
Das Haus der Familie Justus - Altschulhausgasse 41
Das Haus der Familie Justus - Altschulhausgasse 41
Das Haus von David Pflaum *1907 und seinem Bruder Friedrich  - Lange Hauptstraße 17
Das Haus von David Pflaum *1907 und seinem Bruder Friedrich - Lange Hauptstraße 17

wiesenseite der wolga

as linke Ufer der Wolga ist niedrig und flach, nur allmählich erhebt sich das Land und liegt endlich vor dem Auge als weite, unendliche, unübersehbare, ebene Steppe; da ist kein Berg und kein reißender Waldbach, da ist kein Stein und kein Kiesel, auch kein Baum und kein Strauch weit und breit zu sehen, – nichts als Ebene und immer wieder Ebene, bald mit grünerem, üppigem Gras bewachsen und mit Blumen übersät, bald in reichen Kornfeldern ihre Fruchtbarkeit an den Tag legend. Nur hier und da hat sich zur wasserreichen Frühlingszeit ein angeschwollener Steppenbach einen tiefen Schluchtenweg in den lockeren Erdboden gewühlt. Je näher aber zum Sommer, desto mehr verschwindet das Wasser, bis es schließlich entweder nur in einzelnen tieferen Graben und Teichen zu finden ist, oder matt und träge dahinschleicht durch mächtiges Schilf und versumpftes Röhricht. Nur wenig Flüsse, die ein tieferes Bett und einen längeren Lauf haben, können bis in den Herbst hinein strömendes klares Wasser auf ihrem Grunde aufweisen, – solche sind’s denn auch, an deren hohen, steilen Uferrändern noch Laubwald anzutreffen ist, ein herrliches Gottesgeschenk auf baumloser Steppe. Dieses ganze, weite Land ist die sogenannte Wiesenseite der Wolga.

Schulwesen

{Kirchenschulen}

 

Die Masse der wolgadeutsche Kinder besuchte eine der 193 Kirchenschulen. In jeder Kolonie besteht eine Kirchenschule unter Aufsicht und Leitung des Predigers. Diese Schulen besucht die Dorfjugend beiderlei Geschlechts zu gleicher Zeit vom 7ten bis zum 15ten Jahre, vom Oktober an bis Ostern. Ein Schullehrer, welchen die Gemeinde besoldet, erteilt hier täglich während der genannten Schulzeit Morgens von 8 bis 12 Uhr und Nachmittags von 2 bis Z Uhr Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen, im Katechismus und übt die Kinder in christlichen Gesängen und Gebeten. Zeitweilig kommt der Kirchspielprediger zur Schule, hält allgemeine Prüfung und erteilt Religionsunterricht. Gebräuchliche Schulbücher sind: für die Anfänger ein einfaches ABC Buch und der kleine Katechismus Luthers; für die reiferen Schüler das Neue Testament oder auch die ganze Bibel und der Katechismus Luthers, herausgegeben von Ewers.

Das Resultat dieses Unterrichts, namentlich in der Religion, im Gesänge, in der Übung des Gebets und im Lesen, ist im Allgemeinen höchst erfreulich und verdient Bewunderung bei Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die Zahl der Schuljugend in den größeren Gemeinden meist gegen und über 200, in einigen Kolonien sogar über 3 und 400 Schüler beiderlei Geschlechts beläuft, welche alle, und zwar in der Regel gleichzeitig, von einem Schulhalter beschäftigt werden; ferner, dass es nicht wenigen Kindern an Büchern fehlt und außerdem viele der Schullehrer — von den Kolonisten «Schulmeister»  genannt — im Fache, das sie treiben, eben keine Virtuosen sind. Diese Schulhalter stammen, wenige ausgenommen, alle aus den Kolonien und erwerben sich die nötigen Kenntnisse ihres Berufs erst in den ersten Paar-Jahren ihres Amtes unter Einwirkung der Herren Prediger. Übrigens gibt es unter denselben einige recht tüchtige Schulmänner.

Aus «Mitteilungen und Nachrichten für die Geistlichkeit Russlands»

 

{Private Genossenschaftsschulen}

 

Vor allem seit 1840 in größerer Zahl entstehende Privatschulen. Solche Schulen – auch als «Gesellschaftsschulen» bezeichnet – waren von wohlhabenden Kolonisten gegründet worden, die ihren Kindern eine bessere Ausbildung zukommen lassen wollten, als dies in den überfüllten Dorfschulen möglich war. An diesen Schulen unterrichteten gut ausgebildete Lehrer in überschaubaren Klassen. Neben Russisch und Deutsch standen Religion, Arithmetik und Geografie als Grundfächer auf dem Stundenplan.

 

 

{Landamt-Schulen}

 

Landamt-Schulen (Semstwo-Schulen) entstanden ab 1864 auf Initiative der ländlichen Selbstverwaltungen, der Landämter, überall in Russland. In den Wolgakolonien betrug die Zahl der Gesellschafts- und Landamt-Schulen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts 64. Hier wurden etwa 2.200 Knaben unterrichtet. Diese Schulen waren bei den Wolgadeutschen zunächst nicht sehr beliebt, weil der Unterricht in russischer Sprache durchgeführt wurde. Da aber ihr Besuch zu einer Verkürzung des seit 1874 obligaten Militärdienstes führen konnte – der Abschluss eines Lehrerseminars sogar zur völligen Befreiung – wuchsen die Schülerzahlen beträchtlich. Aber auch die wachsende Einsicht, dass die Beherrschung der russischen Sprache notwendig war, bewog immer mehr Kolonisten, ihre Kinder auf die Landamt-Schulen zu schicken. 

Die Landamt-Schule in Stahl am Karaman
Die Landamt-Schule in Stahl am Karaman

 Gemäß einer staatlichen Befragung zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren an der Kirchenschule in Stahl am Karaman drei Lehrer beschäftigt: Friedrich Jung, Victor Hoppe und Schulmeister Gottlieb Klunk. Die Landamtschule hatte fünf Lehrer im Dienst: Schulmeister Johann Zitzer, Eugenia Fomina (Евгения Фомина), Konrad Hartmann, Heinrich Glöckner und Maria Minailenko (Мария Миняйленко). Die Kirchenschule gehörte der Gemeinde Stahl am Karaman, während die Landamtschule von der Selbstverwaltungseinheit (Semstwo) auf Ujesdebene betrieben wurde. Die neuere Kirchenschule wurde 1873 erbaut und die Landamtschule im Jahr 1903. Zum Zeitpunkt der Befragung waren 312 Jungen und 188 Mädchen in Stahl am Karaman schulpflichtig.